Wie die Verwaltung digitalisiert werden könnte

Unter diesem Titel schreibt Peter Fahrenholz in der Süddeutschen über die vielfältigen Gründe, aus denen Deutschland als „Analogistan“ mittlerweile einen der hinteren Plätze in der EU einnimmt, was die Digitale öffentliche Verwaltung betrifft.

Klar, das Nummer 1 Thema ist immer unser fein-ziselierter Föderalismus. Es wäre ja viel zu einfach, wenn ich dieselbe Amtshandlung in jedem Bundesland mit demselben Verfahren durchführen könnte: einen Ausweis beantragen, das Auto ummelden, die Steuererklärung abgeben… halt, da haben wir ja fast ein funktionierendes digitales Verfahren gefunden. Aber schon bei der erwähnten Grundsteuer-Erklärung konnten wir uns schon wieder nicht auf ein Verfahren einigen.

Eine weitere Ursache für mangelndes Handeln in der Digitalisierung unterstütze ich aus meiner Erfahrung mit Organisationsentwicklung in Unternehmen voll und ganz: wenn man in einer IT-Organisation oder Behörde lauter Juristen einstellt, am besten von oben an, dann wird hauptsächlich das Vorhandene verwaltet und jede Risikobereitschaft von sich gewiesen. Da mögen dann auch die so gesuchten IT-Fachleute aus der Wirtschaft gar nicht erst einsteigen – sie dürfen eh nur im Klein-Klein herumwurschteln.

Die vorgeschlagenen Lösungen, das Ganze über Beraterfirmen oder mögliche große Digitalagenturen mit 600 oder gar 1000 Mitarbeitern zu starten – da kann ich nur müde lächeln. Es ist ja nicht so, dass Länder mit solchen Monster-Agenturen vorgemacht hätten, wie es geht. Vielmehr ganz im Gegenteil.

Unseren EU- Spitzenreiter Estland können wir uns auch nicht zum Vorbild nehmen: die haben sich nach ihrer Unabhängigkeit sehr schlanke Verwaltung aufgebaut mit sehr einfachen Prozessen, und sind sofort digital gestartet.

Vom Scheitern lernen: das britische IT Debakel

Interessant ist diesmal der Blick nach Großbritannien. Dort ist das Cabinet Office dafür zuständig, die Regierung und die Ministerien in ihrer praktischen Arbeit zu unterstützen.

Es beginnt mit dem Debakel des nationalen Programms für IT. Dieses wurde 2002 gestartet, um vor allem die Krankenhäuser und Einrichtungen des NHS zu digitalisieren, mit den größten Beratungsfirmen wie Accenture, British Telecom und mehr als 1000 IT-Fachleuten. Es scheiterte krachend, ergebnislos, 2011, mit 11 Milliarden Pfund aufgelaufenen Kosten.

2010 erwachte das Cabinet Office. Der damalige Minister Francis Maude erklärte das Scheitern vor allem mit dem Prozess, den die Regierung für das Outsourcing von Projekten hatte: dass eine zentrale Einheit Spezifikationen bis zum Detail schrieb, in einem mehrjährigen Prozess abstimmte und ausschrieb. Bis dahin waren auch die letzten Anforderungen veraltet – wenn sie überhaupt je die Bedürfnisse der Nutzer erfasst hatten.

Erfolgsmodell Government Digital Service (GDS)

In dieser Situation ernannte man die erfolgreiche Internet-Unternehmerin Martha Lane Fox zum „Digital Champion“ und bat sie um Vorschläge, wie die teuren und wenig genutzten Interfaces der Regierung für die Bürger aktiviert werden sollten. Diese Strategie entwickelte sie umgehend im Gespräch mit der digitalen Community: Die Software neu schreiben, klein starten, sofort liefern, so einfach wie möglich für die Nutzer und nach den aktuellen Methoden der Webentwicklung sollte es laufen. Es sollte mit einem Team starten und immer erst im Dialog mit dem verantwortlichen Ministerium ein Prozess vereinfacht werden und dann implementiert. Es sollte eine Regierungsbehörde sein, mit einem weisungsunabhängigen CEO, der für das gesamte IT-Budget verantwortlich wäre.

Der Government Digital Service (GDS) startete 2011 mit einem interdisziplinären DevOps Team mit 14 Mitarbeiter*innen, die sich mit Webentwicklung, Cloud-Betrieb, User Experience und vielem mehr auskennen. Sie bauten in wenigen Wochen eine Alpha-Version der neuen Regierungs-Website und zeigten, wie die Architektur, die SW-Entwicklung, der Betrieb und die Benutzerfreundlichkeit sein sollten. Gleich von Anfang an mit täglichem Update der Software und Feedback der Nutzer.

Erst dann begannen sie zu skalieren auf mehrere Teams und hatten bald etwa 140 Mitarbeiter*innen. Eine Beta-Version der neuen Site gov.uk sollte die beiden größten Websites der Regierung ersetzen. Sie fügen immer mehr Funktionen dazu, holten Feedback ein, verbesserten, und konnten 2012 schon die beiden größten bisherigen Websites abschalten.

Ein Erfolgsfaktor war das Ziel, alles so einfach wie möglich für die Nutzer zu machen. Ein anderer war das ständige Reflektieren über mögliche Verbesserungen – aus dem Feedback, aber auch aus allen gemessenen Kennzahlen und Metriken, die man auch transparent auf der Website finden kann. Die moderne Arbeitsweise, kleine Änderungen iterativ zu entwickeln und auszuliefern, ist Grundvoraussetzung dafür.

Mit gov.uk sparen statt mehr ausgegeben – schon nach einem Jahr

Bereits im Fiskaljahr 2012-2013 sparte die britische Regierung durch GDS 42 Millionen Pfund ein. Das erhöhte sich in den nachfolgenden Jahren, da immer mehr teure Systeme abgeschaltet werden konnten. Die neuen laufen deutlich billiger in der Cloud mit cloud-kompatiblen Sicherheitsmaßnahmen. Ganz wichtig ist dabei ein einfacher und sicherer Zugang, der für alle Systeme identisch ist.

Das System wurde auch immer weiter entwickelt. Das Design und die Benutzerfreundlichkeit der Services startete mit einfachen Regeln. Inzwischen stützt sich der GDS auf Communities, die diese wichtigen Eigenschaften immer weiter verbessern. All dies ist auf ihrer Site öffentlich zugänglich. Übrigens auch die Performance Daten für jeden einzelnen Service.

Wie kann Deutschland von gov.uk lernen?

Wenn wir das Erfolgsmodell des GDS kopieren wollen, hilft es natürlich, Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen, von ihnen zu lernen.

Spannend ist aber die Frage: Wo soll der deutsche GDS angesiedelt werden? Wer traut sich zu, nicht nur eine autonome Digitaltruppe zu haben, die er als Minister*in voll unterstützt. Sondern auch Schritt 1: genau so wie Robert Habeck als Klimaminister immer wieder in Dialog tritt mit den zuständigen Ministern der Bundesländer, um Windkraft, PV, Fernwärme usw. abzustimmen und zu beschleunigen, muss auch unser*e potentielle Digitalisierungsminister*in immer wieder den Rahmen geben, um gleich für ganz Deutschland einen gemeinsamen Prozess abzustimmen, zu vereinfachen und zur Digitalisierung vorzubereiten. Ob dazu Volker Wissing oder Nancy Faeser fähig und bereit sind, muss sich zeigen.

Ohne diese Voraussetzung wäre selbst mit den besten Spezialist*innen ein deutscher GDS nur ein klein-kleckersdorfer GDS, der wieder 16 föderale oder auch Tausende kommunale Varianten eines Prozesses implementieren müsste. Dann hätten wir nicht, wie die Briten, nach 4 Jahren 800 Services online, sondern vielleicht 16 Varianten von Ausweis-Beantragen und Auto-Ummeldung.

Quellen:

Lean Enterprise Buch, Jez Humble, Joanne Molesky, Barry O’Reilly, Dec 2014

https://www.gov.uk/

https://www.gov.uk/government/organisations/government-digital-service

https://www.gov.uk/service-manual/measuring-success/how-to-set-performance-metrics-for-your-service

https://www.data.gov.uk/search?filters%5Btopic%5D=Digital+service+performance

https://www.independent.co.uk/life-style/health-and-families/health-news/nhs-pulls-the-plug-on-its-ps11bn-it-system-2330906.html

Die DATEV lernt digital und verteilt #datevlernt #datevdigicamp

Wir transformieren unser Firma. Die DATEV, das ist die Genossenschaft für Steuerberater:innen in Deutschland, geht seit mehreren Jahren in immer größeren Schritten in Richtung Business-Agilität auf allen Ebenen. Wir stellen die Software in immer agileren Produktteams her. Noch sicher nicht perfekt, aber ständig als Firma dazu lernend.

Ein Element davon sind die Veranstaltungen. Vor 6 Jahren, als ich dazu kam, lernte ich noch Frontalveranstaltungen mit hunderten Teilnehmern kennen, in denen oberes Management vor Führungskräften referierte.

Ab 2016 begannen wir im Software-Entwicklungsbereich, agilere Veranstaltungen auszuprobieren, wo Lernen, Spaß und im Team arbeiten für die Führungskräfte fühlbar wurden. Denn die Software-Teams lernen ja während ihrer Arbeit, wie agile Werte und Prinzipien ihnen helfen, näher am Kunden zu sein und häufiger Wert zu liefern.

Seit 2019 gibt es ein neues Format, das #DATEVdigicamp

Es richtet sich von Anfang an an alle Mitarbeiter:innen, sowie Kund*innen und Externe. Eine bunte Mischung zu allen möglichen Themen zur Veränderung – im Führungsstil, in den fachlichen Themen, im Kundeneinbezug, in Software-Technik und Teamprozessen werden angeboten. Jede:r kann nicht nur teilnehmen, sondern auch Angebote machen – Workshops und Diskussionen, kurze Vorträge und innovative Formate. Vor allem für die teilnehmenden Steuerberater:innen fühlt sich die DATEV seither offener und transparenter an. Ebenso für viele Mitarbeiter:innen.

Zum dritten Mal fand das DATEV-DigiCamp bereits online statt und es fühlt sich langsam ganz normal an. Über 80 Sessions, viele virtuelle Begegnungen mit Kolleg:innen, Mitgliedern und Kund:innen, Partnerunternehmen, usw. und unzählige Eindrücke für unsere tägliche Arbeit. In diesem Video haben die Haupt-Organisator:innen Christian Kaiser und Carolin Geyer mit Kolleg:innen und Teilgeber:innen einen kleinen Ausschnitt des vielfältigen Geschehens festgehalten.

Das nächste #DatevDigicamp findet übrigens im Juli 2021 statt, und man kann sich auf datev.de gerne dazu anmelden, wenn es wieder los geht.

Eine gute Frage: Woher kommt das positive Menschenbild in der Wirtschaft?

Vor einigen Tagen habe ich einen Workshop für systemische Coaches und Berater gehalten, die von mir wissen wollten, wie das Thema „Agilität“ so breit Einzug gehalten hat in alle möglichen Firmen und Institutionen, die in vielen Fällen gar nichts mit Softwareentwicklung zu tun haben.

Wir kamen in einen spannenden Dialog über die Grundlagen und Prinzipien der Agilität, ihre Elemente, ihre Wirkungsweise, und schließlich ihre Voraussetzungen in der Organisation, in der sie eingeführt wird. Nahezu alle Management-Annahmen und -Praktiken scheinen nicht mehr zu passen, wenn eine Organisation aus selbstorganisierenden interdisziplinären Teams besteht.

Was tun mit der Pyramide der Hierarchie? Umdrehen?

Wenn der bisherige Top-Down-Manager zum Unterstützer seiner Mitarbeiter wird, zum Menschen- und Team-Entwickler, was passiert dann mit denen, die bisher ihren Selbstwert aus ihrer Position in der Pyramide gezogen haben? Wie können die sich verändern? Was motiviert sie vielleicht?

Eine spannende Frage stellte dann ein sehr erfahrener Coach und Berater: „Wie kommt es denn, dass ausgerechnet die gewinnorientierte Wirtschaft heute ein so positives Menschenbild gewonnen hat?“

Klar, ausgerechnet in vielen Technologiekonzernen wird heute selbstverständlich agil gearbeitet. Bedeutet dies, dass sie ihren Mitarbeitern zutrauen, intrinsisch motiviert zu sein und ihre beste Leistungen für das Unternehmen zu erbringen, wenn sich im Team selbst organisieren?
Die Frage nach der Motivation ist einfach zu beantworten: Hierarchie kann mit Komplexität nicht umgehen.

(Aus dem u.g. Buch von Frederic Laloux)

Die Welt ändert sich schneller als jemals zuvor. Neue Akteure treten in Erscheinung, die die Erwartungen, welche wir an Firmen und Institutionen haben, radikal verändern. Keine der bisher üblichen Organisationsformen kann damit umgehen. Ganze Industrien und Dienstleistungsbranchen werden im Handumdrehen Opfer disruptiver Konkurrenz.

Natürlich versuchen viele erst, die Veränderungen in der Produktentwicklung dort zu kapseln und den Rest der Organisation beizubehalten. Dann erleben sie, dass es nicht funktioniert. Die Teams werden vielleicht erst mal schneller im Entwickeln und Liefern. Dabei stoßen sie aber immer häufiger auf die Grenzen, ja Mauern des alten Systems und seiner bürokratischen Prozesse und seiner hierarchischen Entscheidungsstrukturen und werden unzufrieden, fordern mehr Freiheit oder gehen.

Normalerweise will das Top-Management die Veränderungen, weil es sie rational versteht und damit die Herausforderungen der VUCA-Welt meistern will. Die Teams auf der Arbeitsebene wollen sie auch, weil sie sie als Befreiung erleben, als echte Form der Arbeit direkt mit und für die Kunden.
Dazwischen befinden sich diese Schichten von Hierarchie, die sich immer wieder Pfründe, Macht, Einfluss, Kontrolle sichern wollen, und von denen nur ein kleiner Teil die Veränderungen unterstützt. Offiziell unterstützen sie es natürlich alle!

Einige reproduzieren ihr altes System mit ein paar Schleifchen dran, streichen es grün an und kleben ein paar moderne Namen an die alten Entscheidungsstrukturen. Es kommen noch ein paar Zentralabteilungen für Governance und Risikomanagement dazu, die immer noch danach incentiviert werden, Audits zu bestehen, statt danach, wie schnell die Teams hervorragende und sichere Produkte entwickeln können. – Und schon werden wieder alle ausgebremst.

In der Situation werden dann sowohl von unten als auch vom Top-Management Stimmen lauter, die eine ganz andere Institution fordern. Andere Werte und Prinzipien,die auch wirklich gelten. Vertrauen statt Bürokratie. Die Mitarbeiter als Erwachsene ansehen. Netzwerk statt Pyramide.

Das, was in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts noch eine Utopie war, ist heute ganz einfach das, was funktioniert, und wovon es immer mehr Beispiele gibt. Auch solche mit mehreren Tausend Mitarbeitern.

Frederic Laloux ist einer der Menschen, die am meisten solcher Unternehmen und Institutionen untersucht haben. Sein Buch„Reinventing Organizations“ hatte ich schon 2014 hier vorgestellt. Inzwischen hat er eine „visuelle“ Ausgabe davon herausgebracht, womit auch ein völlig ausgebuchter CEO noch eine Idee bekommen sollte, was er am besten gleich anfängt.

Ein ständig wachsendes Wiki www.ReinventingOrganizationsWiki.com versammelt alle Beispiele mit allen Prinzipien und Praktiken.

Auch er sagt, dass es keine Blaupausen und Checklisten für die Transformation in eine lebendige, organische Institution gibt. Man kann noch so viele Praktiken der Vorreiter kopieren. Ohne eigenen Sinn, echte gelebte Werte, wird man nicht dorthin kommen. Es lohnt sich, es zu versuchen, beharrlich dabei zu bleiben, und nicht aufzugeben. Das positive Menschenbild gehört in jedem Fall dazu.

Die 3 wichtigsten Punkte bei der Agilen Transition von Unternehmen?

Vor ein paar Tagen stellte mir jemand die Frage:

Was sind Deiner Meinung nach die 3 wichtigsten Punkte bei der Agilen Transition von Unternehmen?

Das ist eine wirklich interessante Frage, die ich kurz beantwortet habe, hier möchte ich noch ein bisschen tiefer ins Detail gehen.

Punkt 1: Start with why!
Die Firma, namentlich das TOP-Management, muss sich ganz klar sein, warum bzw. Wozu es eine agile Transition braucht. Heute ist ja meistens die Digitalisierung der primäre Treiber.
Das braucht aber mehr Strategie: was machen wir mit bestehender Software und Prozessen? Agile weiterentwicklung? Schnell ablösen? Wie sieht der Übergang aus? Was wollen wir mit unsern neuen digitalen Produkten, Prozessen, Ökosystemen erreichen?
Punkt 2: glaubwürdige Vision kommunizieren
Es braucht eine glaubwürdige Vision, die am besten vom CEO ständig kommuniziert wird. Oliver Gürtler von Microsoft hat das vor kurzem in einem Vortrag in Bezug auf deren CEO Satya Nadella mit „Konstante Überkommunikation“ bezeichnet. Wenn man es selbst gar nicht mehr hören kann, und glaubt, dass jeder Mitarbeiter die Vision im Schlaf kennt, dann kann man sie immer noch mal wiederholen. – In typischen Unternehmen passiert es immer wieder, dass das Top Management untereinander und mit den Beratern so viel über die Vision und die Strategie gesprochen hat, dass sie glauben, jeder wüßte Bescheid.
Punkt 3: Was ändert sich sofort? – Kulturwandel in Selbstorganisation
Der Kulturwandel wird von den Mitarbeitern im Rahmen von großzügigen Leitplanken und viel Vertrauen von oben selbst mitgestaltet. Das bedeutet nicht, dass man sich in einer bis dato hierarchisch verschlossenen Organisation einfach hinstellt und sagt, „Macht mal“. Die Leitplanken müssen auch umfassen, was man jetzt darf, was man vorher nicht durfte, und wo man sich das Know-How erst mal holen kann.
Bottom-Up-Veränderung und Top-Down Support müssen dabei Hand in Hand gehen.
Experimente und Fehler sind in Ordnung, da darf niemandem ein Vorwurf gemacht werden, der etwas gewagt hat das leider nicht geklappt hat. Im Gegenteil, gelungene und mißungenen Experimente sollten in der Kommunikation gleichermaßen herausgestellt und gelobt werden,wir lernen ja daraus.
Das Top-Management muss dabei helfen, Systemveränderung zu machen. Wenn die Silos der Organisation sich gegenseitig im Wege stehen, können die Mitarbeiter noch so schöne übergreifende Ablauforganisationen designen, in denen sie sich gegenseitig helfen. Irgendwann muss jemand an den großen Hindernissen arbeiten.
Es hilft für die Glaubwürdigkeit des Wandels, wenn einige symbolische, aber deutliche Veränderungen sofort verkündet werden und auch gleich passieren.
Dazu fällt mir gleich noch eine weitere Frage ein:
Was brauchen die Top Manager die den Change wollen und Menschen wie ich, die den Wandel treiben, für Eigenschaften?
Mut und Zuversicht,  sowie eine gute Mischung aus Ungeduld und einem langen Atem – nicht akzeptieren, dass etwas nicht geht, und es mit einer gewissen Beharrlichkeit verfolgen, dass es dann doch geht.

Häppchen aus der neuen Arbeitswelt 4.0. – das „New Work Quartett“ von @QundG angewendet auf die @Datev

Die Kollegen in der Datev entdecken immer mal wieder was spannendes. Ein Scrum Master hat Leute von „Quäntchen und Glück“ auf irgendeiner Konferenz getroffen und hat ein „New Work Quartett“ bekommen. Klingt spannend, zumal das Thema mich hier schon seit Jahren beschäftigt: SEMCO als Vorreiter aus den 1980er Jahren, unsere selbstorganisierte Software-Firma aus den 1990ern, alles was mit Agilität zusammenhängt, die „Augenhöhe“-Bewegung in der deutschen Arbeitswelt, Frederic Laloux‘ „Reinventing Organizations“, und schließlich meine Arbeit der letzten Jahre mit den Führungskräften der Datev.

Puh! Ganz schön spannend. Also schreibe ich an jacob.chromy@qundg.de und bekomme netterweise auch so ein Quartett zugeschickt. Wenn ich beim Durchblättern Informationen brauche, kann ich auf der Website von QundG zu den einzelnen Themen mehr lesen.

Schließlich wähle ich mir 3 Quartette, die ich hier mal schnell Revue passieren lasse:

1. Die Dinge, die es in der Datev schon „immer“ gibt. – Dazu muss man wissen: Datev war ein Startup der 1960er Jahre, ist als Genossenschaft von Steuerberatern gegründet worden und war seitdem ein stetig wachsendes IT-Unternehmen. In Laloux‘ Farbensprache würde ich es als gelb-grün bezeichnen – eine mitarbeiterorientierte Hierarchie. Dazu passt mein erstes Quartett:

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Als ich vor 4 Jahren zu Datev kam, waren die Arbeitszeiten bereits flexibel. Es gab schon Leute, die von Zeit zu Zeit im Homeoffice arbeiten konnten, und Überstunden werden generell abgefeiert. Daneben gibt es eine ganze Menge soziale Wohltaten für die Mitarbeiter. Getränke sind nicht ganz for free, aber in enger Näherung. Im Sommerhalbjahr kostet eine Flasche 0,75 Mineralwasser 12 Ct. Der Latte Macchiato wird das ganze Jahr über für 57 ct von einem hyperintelligenten Automaten hergestellt. – Günstiges Mittagessen, dazu den Zwischenverkauf, Automaten, Sofaecken, Massagesessel… Ok, lassen wir das.

2. Interessante Neuerungen der letzten 5 Jahre:

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Arbeitsgruppen gibt es viele: „Communities of Practice“ wurden in den letzten 5 Jahren für alle möglichen Rollen und Themen gegründet, von der sehr aktiven Software Craftmanship Community bis zum Austausch für agile Führungskräfte. Aber auch für Veränderungsthemen haben wir solche gegründet, fast immer hierarchie- und rollenübergreifend.

„Usability Testessen“ mit echten Endkunden gibt es bei den neueren webbasieren Produkten.

Digitale Weiterbildung: Unsere Weiterbildungsabteilung setzt nicht mehr nur auf Präsenzkurse, sondern hat längst virtuelle Sites wie „Lynda“ für uns eingekauft.

Bewerber: Kollegen, die sich beispielsweise dafür interessieren, sich auf eine der Stellen bei uns in der Entwicklung zu bewerben, werden regelmäßig mit Bewerber-Lounges mit Häppchen und im letzten Jahr auch schon einmal mit gemeinsamem Grillen beglückt. Dort können sie dann eine ganze Reihe Leute aus der Entwicklung kennen lernen, mit denen sie über unterschiedliche Stellen, aber auch über agile Methoden und Communities sprechen können.

3. Nicht exakt gleiche, aber ähnliche Innovationen wie diese von QundG können wir auch schon anbieten:

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Aus Hackathon und Quarantäne wird unsere „Schatzsucherwoche“: ein cross-funktionales Team aus Mitarbeitern und Kunden zieht sich für eine Woche irgendwohin zurück – ohne Mail, ohne Telefon – und entwickelt aus ein paar Ideen eine User Journey und setzt diese prototypisch um – ähnlich wie im „Sprint“ bei Google.

Eine „Quäntrale“ haben wir auch: Unser IT-Campus ist schon seit dem Erstbezug in 2015 ziemlich cool eingerichtet, mit vielfältigen Rückzugsräumen und roten Sofas. Seit 2018 ist das obere Stockwerk für Activity Based Working noch vielfältiger neu hergerichtet, für zwei große Produktteams nach ihren jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen. Terasse und vier sonnige Innenhöfe locken uns, und der Park mit Rosengarten auch die gesamte Nachbarschaft an die Sonne.

Offsites haben wir auch für alle möglichen Gruppen, und es geht hier ebenso um das bessere Kennenlernen und um eine gemeinsame Sicht der Dinge zu bekommen – vom Agilen Transitionsteam mit 5 Leuten über den Scrum Master Tag mit 70 Leuten bis hin zum Learnathon für alle Führungsrollen mit mehreren Hundert Leuten im VIP-Bereich des Stadions.

So, das war der Quartett-gestützte Einblick in die Arbeitswelt 4.0. bei der Datev. Natürlich hat „Quäntchen und Glück“ noch ein paar andere Themen zu bieten. Nicht ohne Grund haben sie ja 32 Karten herausgegeben. Wer die anderen kennenlernen will: siehe oben.

Permafrostböden #agil auftauen – ein Open-Space-Thema beim #ScrumDay2018

Dieses Problem kennen alle, die in einer historisch gewachsenen Hierarchie agile Methoden einführen. Das Top-Management weiß, dass man sich zu einem Kunden- und Mitarbeiter-zentrierten Unternehmen mit kurzen Feedback-Schleifen wandeln muss, um heute am Markt zu bestehen. Die Mitarbeiter lernen die Methoden, wenden sie an und fühlen sich meist bald besser, weil sie mehr positives Feedback bekommen und mehr Sinn in ihrer Arbeit sehen. Wenn – Ja wenn ihnen nicht der „Permafrostboden“ in die Quere kommt, die zwei bis viele Schichten des mittleren Managements dazwischen. Was tun?

Das war grob die Fragestellung, die ich im Open Space beim Scrum Day in Filderstadt klären wollte. Daraufhin kamen etwa 40 Kolleginnen und Kollegen aus kleinen bis ganz großen Unternehmen, von denen so einige bekannten, auch Elemente dieses Permafrostbodens zu sein. Allen war aber gemeinsam, dass sie das Thema ernsthaft und ohne Polemik diskutieren wollten, denn es ist zweifellos real.

Wer sind diese Führungskräfte und wie sind sie in ihre Positionen gekommen?

Oft in einer ganz anderen Zeit und mit einer anderen Motivation, als wir heute brauchen würden. Das existierende System hat sie für bestimmtes Verhalten belohnt oder bestraft, in diesem System waren sie erfolgreich. Deshalb kann der Change im Extremfall eine Generation lang dauern, war da zu hören.

Das ist natürlich für viele zu lang. Wo es oft funktioniert, ist wenn eine Firma so wirklich am Abgrund steht, Zehntausend Meter tief, für alle sichtbar, und man dann einen tiefgreifenden Umbau in die richtige Richtung vornimmt. Für die anderen Unternehmen, vor allem die, die richtig lang schon erfolgreich sind, heißt es, die Führungskräfte nach und nach abholen und auf ihre Ängste richtig reagieren.

Welche Ängste haben sie?

Für sich selbst fürchten sie den Verlust von Position und Gehalt, Macht, Status und Anzahl der Mitarbeiter. Sie haben Angst davor, dass Teams zwar Entscheidungen treffen, aber sie weiter dafür verantwortlich gemacht werden. Sie fühlen sich verantwortlich für ihr Mitarbeiter, dass diese den Change schaffen und nicht unter die Räder kommen. – Daher müssen wir diese Führungskräfte überzeugen, dass die Veränderung gut für sie und für die Mitarbeiter ist, und ihnen ermöglichen, sie aktiv mit voran zu treiben.

Was ist der Knackpunkt der Veränderung?

In der neuen Organisation gibt es selbstorganisierte cross-funktionale Teams, die sich miteinander koordinieren über priorisieren Backlogs, Product-Owner-Meetings, Scrum of Scrums und Communities of Practice. Jedenfalls nicht rauf und runter über Hierarchien. Es braucht also weniger Führungskräfte, und alle in neuen Rollen:

  • Peoplemanager kümmern sich als Sparringspartner und Coach um die Weiterentwicklung der Mitarbeiter
  • Wer fachlich firm ist, die Kunden gut versteht und priorisieren kann, wird Product Owner, und
  • Wer gerne den Teams Hindernisse aus dem Weg räumt und Prozesse vereinfacht, wird Scrum Master.

Wie kann man die Führungskräfte beim Change mitnehmen?

Am häufigsten wird genannt, dass man die Führungskräfte aktiv in die Veränderung einbeziehen muss. Zunächst einmal gibt es da zwei Hindernisse: die genannten Ängste, und das nötige Know-How.

Für beiden braucht man Geduld und Offenheit und spezielle Veranstaltungen, bei denen sich die Führungskräfte miteinander die neue Arbeitsweise quasi erarbeiten. Aus verschiedenen Firmen wurde berichtet, dass es Veranstaltungen gab, wo sie lernen, im Team miteinander an Lösungen von Problemen zu arbeiten, ähnlich wie wir das auch in der DATEV gemacht haben. Man erarbeitet mit den Führungskräften, welche der neuen Rollen wofür verantwortlich sein wird. Es wird auch ein auf die FK zugeschnittenes Fortbildungsangebot zusammengestellt.

Sehr gut ist es auch, von anderen in derselben Situation zu lernen: Führungskräfte aus ähnlichen Unternehmen oder anderen Teilorganisationen sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Change, und sie nehmen die andren mit z.B. in öffentliche Reviews ihres Produktes, wo die Teams nach jedem Sprint ihre Fortschritte zeigen. Wer die Energie und den positiven Spirit in so einem Review erlebt hat, wird deutlich weniger Angst um seine Mitarbeiter haben.

Das Top-Management verspricht, dass jeder der die Veränderung mitmacht, im neuen Job mit der bisher erreichten Position und dem Gehaltsniveau einsteigen wird. Gleichzeitig verändern sie das System, d.h., wofür man in der neuen Organisation gelobt und befördert wird oder Gehaltserhöhung bekommt, orientiert sich am Bedarf einer agilen Organisation. Ebenso, ob man noch beurteilt wird und wie.

Für jede Teilorganisation, welche Agil wird, erarbeitet ein Agiler Coach mit dem Führungsteam die neue Ablauforganisation. Dabei wächst das Führungsteam mit der Zeit zu einem echten Team zusammen, und durch eigenes Erleben wird ihnen in 1 bis 2 Jahren klar, welche Rollen gebraucht werden, und auch was ihre eigene beste Rolle ist. Mit etwa Glück passt das dann auch schon von der Menge her, andere gehen dann weiter in die nächste Teilorganisation.

Für jedes Produkt in den ersten Monaten der Veränderung braucht man aber auch mindestens eine Führungskraft mit breitem Kreuz und guten Kommunikationsskills, die bei den Managern weiter oben Stakeholder-Management betreibt. Denn es passiert alles Mögliche, vor allem kommt erst mal die bekannte Abwärtsbewegung bevor es aufwärts geht, und das muss man miteinander aushalten, ohne in Panik zu verfallen.

Alle Ebenen von Führungskräften muss man gesondert abholen. Es gibt zwei Maßnahmen, mit der man die Ebenen weiter oben für die Veränderung aktiviert:

  • Statusberichte werden abgeschafft! Das fördert die Teilnahme auch des höheren Management an Reviews. Es ist natürlich manchmal aufgrund der Menge nötig, noch ein übergeordnetes Review auf gröberem Korn zu machen.
  • Impediments, also Hindernisse, die in den Teams nicht gelöst werden können, werden nach oben ans Management eskaliert. Dabei kann man festlegen, wie lange sie maximal in jeder Hierarchie-Ebene zur Lösung brauchen dürfen, bis sie weiter nach oben eskaliert werden.

Es gibt natürlich auch hoffnungslose und sogar toxische Fälle, da waren sich auch alle einig. Wenn bei jemandem Position, Geld und Macht die Hauptmotivation für die Karriere waren und auch Monate der Veränderung keine anderen Motive hervorgelockt haben, und die ganzen Trainings und Workshops umsonst waren, dann muss man halt schauen, ob es noch eine un-agile Ecke im Unternehmen gibt, sonst kann so jemand ganze Teams demotivieren und an der Selbstorganisation hindern.

„Creating an agile learning experience for managers“ – presentation and workshop at #XP2017 conference in Cologne

The agile transition of DATEV‘s product development organization has started.

DATEV was founded in 1966 by a visionary tax consultant as a common IT backbone for himself and his colleagues. The then recently emerged mainframe computers promised to solve their common need for correct calculation in a world of increasingly complicated and ever-growing legislation. – This bold idea transformed the initial startup into a constantly growing company in form of a cooperative – the main customers are also the owners of DATEV, therefore it is called “DATEV eG” in German.  Today,  40 000 tax consultants in Germany are DATEV members. 12 million employees get their monthly pay slip via DATEV software. The members use DATEV’s financial accounting software on behalf of 2.5 million small and medium sized companies. DATEV’s own financial numbers have been in the black every single year since its foundation.

The customer feedback has been positive over many years, with software solutions which are not always easy to use but contain the correct implementation of complex legislation. Now we need to evolve towards new web based products which will support the digitalization and automation of the members’ daily workflows, as well as providing faster customer and market feedback cycles. So the purpose of the agile transition should be clear, yet it is not at all easy to create a sense of urgency among the middle management considering the success story that is still true today.


In 2016, we created a learning event for the approximately 200 middle managers. We designed a two day event with two main goals:

  1. The managers should understand the challenge of DATEV’s digitalization strategy
  2. They should learn that an agile transformation is needed in order to support this strategy and that they would play an active role in it

The methods we used for this event were a combination of:

  • Very short speeches by the top management supporting these goals
  • An information market where the first projects in which prototypes of new digital products had been created were presented in a self-organized way by team members of these projects
  • The managers selected the most important obstacles these projects were facing, to be solved by themselves, and started working 
  • A retrospective-like setting in which the managers analyzed and started to develop solutions to these problems
  • The whole event was facilitated by team members who were recruited from the company’s in-house agile community

The outcomes of this first event were three working groups working on the most important obstacles according to the voting of the managers, and a quite positive feedback.

The overall concept of the two-day event was rated between very helpful and not helpful at all – in 6 steps. More than 80% of the participants chose the two best ratings. They were especially pleased with how well the event was facilitated by the team members.

One feedback given during the event to the top management was that direct communication with the team members must take place more rapidly.  The top management promptly put this into practice on the second day of the event by  finding and announcing a date for an information event for all 1800 team members.
All three work groups working on the top three problems developed results in the following weeks, which were presented and discussed in a second event. The third group working on “goals, metrics and a master plan for a complete agile transition” initiated a thorough analysis of the situation, resulted in the top management forming an agile transition team and calling everybody to action during the second event. There all sub-organizations started their own agile transition teams and plans.

Still the development organization as a whole is overburdened with work due to a big upfront planning process in which all of the work for one calendar year has been defined and estimated and committed by the management until July of the previous year. This was the fourth problem addressed by top management itself. A team worked on this process during the next couple of months, with the goal to rely on rough roadmaps instead and to introduce three-monthly portfolio planning cycles. Now in a third event end of April 2017, we have worked with the managers on this topic in order to get everybody into re-defining their current product development goals so that they can be measured and sliced down into smaller sub-goals which result in deliverable slices of products. 

Interested? You can here more about it on Thursday May 25th  in my „Creating an agile learning experience for 200 managers“ presentation and workshop with Christina Busch at XP2017 conference in Cologne.

 Warum wir sofort aufhören sollten, für die drei Prozent zu managen 

Ein Freund arbeitet im Einkauf für eine Firma, die Designobjekte entwirft, in verschiedensten Ländern herstellen lässt und in eigenen Läden verkauft. Die Firma ist schnell gewachsen auf mehrere Hundert Mitarbeiter. Er begann seinen Job nach seinem Wirtschaftsstudium dort enthusiastisch, doch nach kurzer Zeit war er desillusioniert. Was ist passiert?

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Na ja, er und seine Kollegen haben Zugang zu allen Zahlen, machen sorgfältige Berechnungen, diskutieren ihre Hypothesen über die Verkäufe der nächsten paar Monate, und stellen danach ihre Bestellungen zusammen. Was dann passiert, ist, dass der oberste Chef die Bestellungen anschaut, und ohne Rücksprache mit den Zuständigen die Mengen nach seinem Gusto ändert. Weder fragt er sie nach Begründung ihrer Entscheidungen, noch gibt er eine für seine – er macht einfach den Job der anderen.

Welche Auswirkung hat wohl dieses Verhalten auf die Arbeitmoral der Mitarbeiter?  Ja genau, eine desaströse.

Die Wirtschaftsjournalisten Brian M. Carney und Isaac Getz beschreiben in ihrem spannenden Buch „Freedom, Inc“ von 2009 den  Unterschied zwischen  „Wie“-Firmen und „Warum“-Firmen: in einer „Wie“-Firma herrscht eine Top-Down Hierarchie, die alles entscheidet, oft auch nicht entscheidet, und so die Kreativität ihrer Mitarbeiter und deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, im Keim erstickt. Das ist das arbeitsteilige Modell, das wir auch unter „Taylorismus“ kennen, entstanden in der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts in Mittelengland, damals ökonomisch sinnvoll, um mit unausgebildeten Arbeitern die Massenproduktion zu beginnen. Die Auswirkung auf die Mitarbeiter war allerdings damals schon desaströs – das Gefühl, keine Kontrolle über die eigene Arbeit zu haben, ist ein großer Stressfaktor.

41brdhmhunl-_sx349_bo1204203200_Eine „Warum“-Firma ist dagegen darauf aus, ihren Mitarbeitern die größtmögliche Freiheit zu geben, ihr Potential auszuschöpfen und den bestmöglichen Job zu machen. Damit aus Freiheit keine Anarchie wird sondern eine koordinierte Anstrengung in eine gemeinsame Richtung,  braucht es eine starke gemeinsame Vision, gemeinsame Werte, und eine gute Strategie, die von der Unternehmensleitung ständig kommuniziert und auch immer wieder an neue Gegebenheiten angepasst wird. Eine notwendige Bedingung ist auch, dass alle auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, und die Manager ihren Mitarbeitern Hindernisse aus dem Weg räumen.

In dem Buch schildern sie viele Beispiele,  wie Visionäre Unternehmer oder Manager eine Firma von „Wie“ zu „warum“ umgewandelt haben. Wichtig ist die Abschaffung der unzähligen Vorschriften, Anträge und Formulare, die in „Wie“-Firmen dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter ständig beschäftigt sind – nur eben nicht hauptsächlich damit, Wert für die Kunden zu schaffen, sondern damit, Prozesse und Stabsstellen zufrieden zu stellen, die zu ihrer Kontrolle eingeführt wurden, weil die Firma ihren Mitarbeitern nicht vertraut. Dies ist nämlich das „Managment für die 3 Prozent“, wie es Gordon Forward genannt hatte: aufgrund der Möglichkeit, dass einzelne Mitarbeiter etwas falsch machen oder einen Vorteil für sich gewinnen könnten, erfinden die Fimen Unmengen von Vorschriften, die alle Mitarbeiter ständig Zeit und Motivation kosten.

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Die in dem Buch geschilderten Beispiele überschneiden sich mit denen aus Frederic Laloux‘ Buch „Reinventing Orgaizations“. Was an „Freedom, Inc.“ besonders spannend ist, ist die Konzentration auf die Rolle und Tätigkeit des CEOs, den Veränderungsprozess an sich und die Aufnahme auch von gescheiterten Versuchen, aus denen man oft noch mehr lernen kann. Wie das mittlere Management zurückschlägt in der dänischen Hörgeräte-Firma Oticon, nachdem der neue CEO praktisch eine Revolution gegen die gesättigte, behäbige Hierarchie angezettelt hatte, die der Meinung war, sie lieferten absolute Premium-Produkte, während sie gerade dabei waren, dem Umschwung von analoger zu digitaler Technologie auf ihrem Markt zu verschlafen und schon beinahe abgehängt waren. Kurzfristig hatte er wohl durchschlagenden Erfolg, da die Mitarbeiter den Umgang auf Augenhöhe schätzten und ungeahntes Potential freisetzten. Mittelfristig versäumte er jedoch, seine Vision zu erneuern, laufend mit den Mitarbeitern und Führungskräften darüber zu diskutieren und so die veränderte Kultur zu erhalten. So konnte das alte Immunsystem der Bürokratie alte Machtverhältnisse über neue Gremien wieder etablieren. – Sehr interessant zu lesen und sehr wichtig, wenn man einen nachhaltigen Veränderungsprozess in einer gewachsenen Organisation erreichen will.

Hierarchie oder Innovation? – Unternehmen müssen sich entscheiden!

Am Freitag veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel, auf den ich schon seit Wochen gespannt war: Was sind eigentlich die Root-Causes des Abgasskandals bei VW? Wie konnte eine falsche und illegale Entscheidung getroffen und über Jahre aufrechterhalten werden, bei der es so offensichtlich war, dass sie dem Unternehmen bei der Aufdeckung so massiv schaden würde?

Der Artikel von Caspar Busse und Alexander Hagelüken „Nie mehr rumschreien“ beginnt mit einem Zitat aus Gesprächen mit VW-Mitarbeitern: „Wer aufgemuckt hat, ist niedergebrüllt worden“. – Sie berichten von einer Firmenkultur, die weder Kritik noch alternative Lösungen zuließ.

Sie zitieren Psychologieprofessoren und Wirtschaftsforscher, die klar die Nachteile hierarchischer Strukturen im schnellen Wandel des 21. Jahrhunderts ansprechen und auf Beispiele anderer Konzerne verweisen, die den Wandel geschafft haben oder auf dem Weg dahin sind. Guido Hertel, Direktor des Instituts für Psychologie an der Uni Münster, erklärt, Globalisierung, Digitalisierung und kürzere Produktzyklen sprächen dafür, die Mitarbeiter stärker an Entscheidungen zu beteiligen. Die Firmen würden so schneller und effektiver: „Viele Konzerne führen flache Projektstrukturen ein, um flexibel und innovativ zu sein“.

Post-Chef Frank Appel wird damit zitiert, der ganze Konzern müsse über Vertrauen geführt werden, um die maximale Leistung der Mitarbeiter zu erhalten: „Wenn man Vertrauen geschenkt bekommt, schüttet man Glückshormone aus, ähnlich wie beim Verlieben “ und „Am Ende kommt es natürlich darauf an, wie man mit Kritik und eingestandenen Fehlern umgeht“.

Logisch, dass VW-Konzernchef Matthias Müller einen Kulturwandel ankündigt, wonach frisches Denken und offenes Äußern von Zweifeln möglich sein sollen. Im Interview mit Thomas Sattelberger, ehemals Personalvorstand bei Continental und der Telekom, in derselben Ausgabe, sagt dieser allerdings zum Thema Kulturwandel für VW: „Es müssen die alten Seilschaften aufgebrochen werden, in denen einer wie der neue Oberkontrolleur Pötsch hängt. Dann müssen die Systeme der Zielsetzung, Beförderung, Vergütung und die Privilegien radikal überprüft werden. […]. Am Ende muss das Führungstraining auf den Kopf gestellt werden, um offene Reflexion und Selbstkritik zu erreichen.“ Und „VW erzeugt mit seinen Rekrutierungen und Beförderungen Klone. Mir sagte ein junger VW-Ingenieur, er hätte als Erstes das Gewerkschaftsbuch unterschreiben müssen. So bricht man ideologisch das Genick. Man kommt nur durch Wohlverhalten nach oben. Eine gute Firma fördert Querdenker und Einsteiger.“

Diese ganzen Erkenntnisse sind ja nicht neu. Es gibt ja in der Wirtschaft weit über Deutschland hinaus die Bewegung in Richtung Werteorientierung und Selbstorganisation in flachen Hierarchien oder gar ohne Hierarchien, die mit dem Thema „Augenhöhe“ angesprochen werden. Der CEO von 3M, William Mc.Knight, führte schon seit den 30er Jahren die Delegation von Verantwortung und Entscheidungskompetenz an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein und forderte 1948 in seiner Business-Philosophie eine fehlertolerante Kultur: „Manager, die destruktive Kritik äußern, wenn jemand einen Fehler macht, töten den Drang zur Initiative in den Mitarbeitern ab.“

In den 80er Jahren begann der radikale demokratische Wandel der bereits in anderen Posts erwähnten Firma SemCo, der zu einer beispiellosen Steigerung von Rentabilität und Dieversifizierung führte.

Nach 2000 haben z.B. Firmen wie Ericsson einen massiven Wertewandel angestoßen, mit dem auch eine tiefgreifende Änderung der Firmenkultur einhergeht. Der Finnische R&D-Leiter Harri Oikarinen verdeutlichte bei der XP2015-Konferenz in Helsinki, dass das Bild der Firma zunehmend von der Hierarchie zum Netzwerk geht, und die Manager von einst schrittweise von „Leadern“ und „Enablern“ abgelöst werden.

Wie geht nun der Kulturwandel vor sich? – Interessanterweise sehen die Autoren der Artikel in der Süddeutschen Themen wie Agiles Projektmanagement auch kritisch:

Der Soziologe Norbert Huchler vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung habe beobachtet, dass sich in als modern gepriesenen Organisationsformen wie Zielvereinbarungen oder agilem Projektmanagement oft mehr Hierarchie versteckt als gedacht. Etwa, wenn Mitarbeitern in einem Team der nächste Arbeitsschritt vorgestellt wird und sie abschätzen sollen, wie lange sie brauchen – wodurch ein Unterbietungswettbewerb entsteht. „Das sind letztlich Instrumente, um den Leistungsdruck hochzuhalten. Sie folgen dem Menschenbild, wonach Beschäftigte nichts mehr tun, wenn der Chef weniger kontrolliert.“

Klar, bei solchen Aussagen, die die „klassischen“ Zielvereinbarungen mit der „agilen“ Abschätzung von Arbeitspaketen in einen Topf werfen, schütteln sich erst mal die Fachleute. Man darf aber nicht vergessen, dass Methoden nie im größten Teil der Fälle vollständig und richtig angewendet werden, sondern gerade die Agilität ja oft in der untersten Hierarchieebene stecken bleibt, und letztlich nur mehr Transparenz nach oben die Folge ist – ohne eine entsprechende Umsetzung von Vertrauen und Transparenz nach unten, ohne echte Selbstorganisation, ohne Pull-Prinzip, und ohne Einfluss der Mitarbeiter darauf, mit welchen Mitteln sie welche Projekte realisieren, inklusive ihrer notwendigen ständigen Weiterbildung.

Claudio Perrone stellt das mit diesem sehr treffenden Bild in seinem Vortrag „Terraforming Organizations“ dar, wo es genau darum geht, den Kulturwandel in Richtung Agilität über die unterste Ebene hinaus zu bringen:

Slide from "Terraforming Organizations" by Claudio Perrone.

Slide from „Terraforming Organizations“ by Claudio Perrone.

Wenn die gesamte Hierarchie der Organisation immer noch dem „X-Modell“ des Menschen folgt – „Menschen müssen kontrolliert und überwacht werden“-, während das Agile Projektmanagement vom „Y-Modell“ ausgeht – „Menschen wollen sich entwickeln und großartiges leisten“, wird eine agile Transition immer unvollständig sein und nur dazu führen, dass Unmengen von sinnloser Arbeit mit höherer Effizienz durch die Teams getrieben wird. Noch dazu wird dabei ignoriert, dass Agilität eine nachhaltige Arbeitsmenge und –geschwindigkeit erfordert („sustainable pace“), die Teams sich ständig weiterbilden und ständig ihre Vorgehensweise verbessern verbessern müssen.

Wie der große Management-Guru Peter Drucker sagte, gibt es nicht so nutzloses, wie etwas effizient zu tun, was überhaupt nicht getan werden sollte.

Agilität funktioniert also nur dann, wenn sie auf allen Entscheidungsebenen angewandt wird: Wenn schon die Auswahl der Projekte und neuen Produktmerkmalen nicht nach dem zufälligen Zusammentreffen eines Vorstandes mit einem einflussreichen Kunden im Golfclub erfolgt, sondern nach Kriterien, die den ganzen Markt betrachten, und durch die intensive Verwendung von Experimenten und Feedbackschleifen.Viele der neuen Software-Giganten, die in den letzten Jahren ganze Industrien vom Markt verdrängt haben, folgen dem „Lean Startup“- Muster mit Experimenten, kurzen Feedback-Zyklen und intensivem Kundeneinbezug, wie etwa Spotify und Netflix. So werden die Perlen unter den Ideen identifiziert, und sinnlose Zeitfresser landen recht zuverlässig im Papierkorb.

Daher ist es auch kein Zufall, dass in der bereits erwähnten Firma 3M seit den Zeiten von McKnight bis heute jeder Mitarbeiter 15% seiner Arbeitszeit einfach herumexperimentieren darf, ohne von irgendeinem Backlog zu arbeiten. Auch das ist Teil einer innovativen agilen Organisation, sei es in dieser Form, sei es in Form von „Ship it days“ oder „Hackathons“, die sich von der australischen Firma Atlassian aus in den letzten 10 Jahren über die IT-Welt verbreitet haben.

So schafft man Innovation und sorgt dafür, dass sie auch in Produkte umgesetzt wird.

Wie werden unsere Führungskräfte agil? – #AgileHRConference 2015

Diesen Blogpost schreibe ich inspiriert durch die Vorträge bei der 4. Agilen HR-Konferenz in Köln, und einen Open Space zum Thema „Training für agile Führungskräfte“, den ich dort moderiert habe.

Open Spaces bei der #agilehrconference

Während viele der anwesenden HR-Expertinnen die Meinung vertraten, dass sich die Anforderungen an die Führungskräfte agiler Teams gar nicht sehr von denen unterscheiden, die heute allgemein an solche Personen gestellt werden, waren wir uns alle einig, dass diese Trainings in der Praxis sehr nötig sind. Das gilt vor allem in IT- oder R&D – Organisationen, wo sich Führungskräfte häufig aus den Fachexperten rekrutieren, die nun mal wenig Hintergrund in Führung haben.

Inhalte solcher FührungskräfteTrainings können sein:

  •  mich führen, Mitarbeiter führen, das Unternehmen führen
  • Aufgaben und Verantwortung delegieren
  • Entscheidungsbefugnis geben (Delegation Board aus Management 3.0)
  • Mikromanagement abgewöhnen und durch Vertrauen ersetzen
  • Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion der Komplexität (Luhmann. ..)
  • X-Modell versus Y-Modell vom Mitarbeiter
  • Die Stärken der Mitarbeiter stärken, nicht so sehr an Schwächen herumdoktern
  • Fehlerkultur trainieren. Fehler machen dürfen und daraus lernen
  • Feedback geben und annehmen
  • kollegiale Fallberatung – nicht Einzelkämpfer sein als Führungskraft
  • Wahrnehmung
  • Gewaltfreie Kommunikation
  • Agile Werte und Prinzipien
  • Lean – Themen wie Respekt vor Menschen, kontinuierliche Verbesserung, one piece Flow

 

Als Strategie zur Implementierung versorgen wir zuerst die Führungskräfte mit Trainings die das wollen, um gute Erfahrungen zu sammeln und einen Sog in die Richtung agiler Führung zu erzeugen. Ihnen richten wir Communities ein, in deinen sie sich im geschützten Raum face-to-face über Fallbeispiele austauschen können. Es macht auch Sinn eine komplette Einheit zu trainieren, wenn darüber ein Grundkonsens da ist, so dass sich alle gegenseitig helfen können.

Als nächstes ist wichtig, dass gute Beispiele agiler Führung im gesamten Unternehmen wie Leuchttürme wirken. Wenn der Präsident oder CEO durch Storytelling Agiles Führungsverständnis positiv heraushebt und nicht so agiles Verhalten als nicht nachahmenswert darstellt, kann sich insgesamt etwas bewegen, da man so auch die späte Mehrheit erreicht.

Es gab noch eine längere Diskussion über 360-Grad-Feedback. Dies ist auch ein bewährtes Instrument zur Entwicklung der Führungskräfte, nicht speziell agil. Ein gutes 360-Grad-Feedback besteht nicht nur aus einer Online-Beurteilung durch Führungskraft und Team, sondern auch aus einem face-to-face Workshop. Dieser wird durch HR oder extern moderiert und gibt den Mitarbeitern Gelegenheit, nach Vergleich der Ergebnisse zu verschiedenen Themen Beispiele zu erzählen und Maßnahmen zu formulieren. Die Ergebnisse werden auch mit dem Vorgesetzten darüber geteilt, der auch eine eigene Einschätzung abgibt.

Unterschiedliche Meinungen gibt es zum Thema der Freiwilligkeit – einige Firmen fordern ein 360-Grad-Feedback alle zwei Jahre und HR überprüft das auch. Andere setzen auf die freiwillige Anmeldung – altmodische Comand&Control-Führungskräfte können so allerdings, bei freiwilligen Trainings UND freiwilliger Diagnose, ihren ungeeigneten Führungsstil beibehalten. Bei Führungskräften höherer Stufen ist auch immens wichtig, alle Mitarbeiter zu fragen, nicht nur die direkt darunter.

Insgesamt gab es bei der Konferenz eine gute Mischung aus Führungskräften, HR-Professionals und agilen Praktikern. Dadurch waren gerade die Open Spaces sehr inspirierend, und auch die Diskussion nach dem Film „Augenhöhe“, den ich schon in meinem vorherigen Blogpost erwähnt hatte, und der auch dort gezeigt wurde.

Begeistert haben mich auch eine ganze Reihe Vorträge, z.B. der Vortrag von Seibertmedia über extreme agile Leadership.