Wie die Verwaltung digitalisiert werden könnte

Unter diesem Titel schreibt Peter Fahrenholz in der Süddeutschen über die vielfältigen Gründe, aus denen Deutschland als „Analogistan“ mittlerweile einen der hinteren Plätze in der EU einnimmt, was die Digitale öffentliche Verwaltung betrifft.

Klar, das Nummer 1 Thema ist immer unser fein-ziselierter Föderalismus. Es wäre ja viel zu einfach, wenn ich dieselbe Amtshandlung in jedem Bundesland mit demselben Verfahren durchführen könnte: einen Ausweis beantragen, das Auto ummelden, die Steuererklärung abgeben… halt, da haben wir ja fast ein funktionierendes digitales Verfahren gefunden. Aber schon bei der erwähnten Grundsteuer-Erklärung konnten wir uns schon wieder nicht auf ein Verfahren einigen.

Eine weitere Ursache für mangelndes Handeln in der Digitalisierung unterstütze ich aus meiner Erfahrung mit Organisationsentwicklung in Unternehmen voll und ganz: wenn man in einer IT-Organisation oder Behörde lauter Juristen einstellt, am besten von oben an, dann wird hauptsächlich das Vorhandene verwaltet und jede Risikobereitschaft von sich gewiesen. Da mögen dann auch die so gesuchten IT-Fachleute aus der Wirtschaft gar nicht erst einsteigen – sie dürfen eh nur im Klein-Klein herumwurschteln.

Die vorgeschlagenen Lösungen, das Ganze über Beraterfirmen oder mögliche große Digitalagenturen mit 600 oder gar 1000 Mitarbeitern zu starten – da kann ich nur müde lächeln. Es ist ja nicht so, dass Länder mit solchen Monster-Agenturen vorgemacht hätten, wie es geht. Vielmehr ganz im Gegenteil.

Unseren EU- Spitzenreiter Estland können wir uns auch nicht zum Vorbild nehmen: die haben sich nach ihrer Unabhängigkeit sehr schlanke Verwaltung aufgebaut mit sehr einfachen Prozessen, und sind sofort digital gestartet.

Vom Scheitern lernen: das britische IT Debakel

Interessant ist diesmal der Blick nach Großbritannien. Dort ist das Cabinet Office dafür zuständig, die Regierung und die Ministerien in ihrer praktischen Arbeit zu unterstützen.

Es beginnt mit dem Debakel des nationalen Programms für IT. Dieses wurde 2002 gestartet, um vor allem die Krankenhäuser und Einrichtungen des NHS zu digitalisieren, mit den größten Beratungsfirmen wie Accenture, British Telecom und mehr als 1000 IT-Fachleuten. Es scheiterte krachend, ergebnislos, 2011, mit 11 Milliarden Pfund aufgelaufenen Kosten.

2010 erwachte das Cabinet Office. Der damalige Minister Francis Maude erklärte das Scheitern vor allem mit dem Prozess, den die Regierung für das Outsourcing von Projekten hatte: dass eine zentrale Einheit Spezifikationen bis zum Detail schrieb, in einem mehrjährigen Prozess abstimmte und ausschrieb. Bis dahin waren auch die letzten Anforderungen veraltet – wenn sie überhaupt je die Bedürfnisse der Nutzer erfasst hatten.

Erfolgsmodell Government Digital Service (GDS)

In dieser Situation ernannte man die erfolgreiche Internet-Unternehmerin Martha Lane Fox zum „Digital Champion“ und bat sie um Vorschläge, wie die teuren und wenig genutzten Interfaces der Regierung für die Bürger aktiviert werden sollten. Diese Strategie entwickelte sie umgehend im Gespräch mit der digitalen Community: Die Software neu schreiben, klein starten, sofort liefern, so einfach wie möglich für die Nutzer und nach den aktuellen Methoden der Webentwicklung sollte es laufen. Es sollte mit einem Team starten und immer erst im Dialog mit dem verantwortlichen Ministerium ein Prozess vereinfacht werden und dann implementiert. Es sollte eine Regierungsbehörde sein, mit einem weisungsunabhängigen CEO, der für das gesamte IT-Budget verantwortlich wäre.

Der Government Digital Service (GDS) startete 2011 mit einem interdisziplinären DevOps Team mit 14 Mitarbeiter*innen, die sich mit Webentwicklung, Cloud-Betrieb, User Experience und vielem mehr auskennen. Sie bauten in wenigen Wochen eine Alpha-Version der neuen Regierungs-Website und zeigten, wie die Architektur, die SW-Entwicklung, der Betrieb und die Benutzerfreundlichkeit sein sollten. Gleich von Anfang an mit täglichem Update der Software und Feedback der Nutzer.

Erst dann begannen sie zu skalieren auf mehrere Teams und hatten bald etwa 140 Mitarbeiter*innen. Eine Beta-Version der neuen Site gov.uk sollte die beiden größten Websites der Regierung ersetzen. Sie fügen immer mehr Funktionen dazu, holten Feedback ein, verbesserten, und konnten 2012 schon die beiden größten bisherigen Websites abschalten.

Ein Erfolgsfaktor war das Ziel, alles so einfach wie möglich für die Nutzer zu machen. Ein anderer war das ständige Reflektieren über mögliche Verbesserungen – aus dem Feedback, aber auch aus allen gemessenen Kennzahlen und Metriken, die man auch transparent auf der Website finden kann. Die moderne Arbeitsweise, kleine Änderungen iterativ zu entwickeln und auszuliefern, ist Grundvoraussetzung dafür.

Mit gov.uk sparen statt mehr ausgegeben – schon nach einem Jahr

Bereits im Fiskaljahr 2012-2013 sparte die britische Regierung durch GDS 42 Millionen Pfund ein. Das erhöhte sich in den nachfolgenden Jahren, da immer mehr teure Systeme abgeschaltet werden konnten. Die neuen laufen deutlich billiger in der Cloud mit cloud-kompatiblen Sicherheitsmaßnahmen. Ganz wichtig ist dabei ein einfacher und sicherer Zugang, der für alle Systeme identisch ist.

Das System wurde auch immer weiter entwickelt. Das Design und die Benutzerfreundlichkeit der Services startete mit einfachen Regeln. Inzwischen stützt sich der GDS auf Communities, die diese wichtigen Eigenschaften immer weiter verbessern. All dies ist auf ihrer Site öffentlich zugänglich. Übrigens auch die Performance Daten für jeden einzelnen Service.

Wie kann Deutschland von gov.uk lernen?

Wenn wir das Erfolgsmodell des GDS kopieren wollen, hilft es natürlich, Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen, von ihnen zu lernen.

Spannend ist aber die Frage: Wo soll der deutsche GDS angesiedelt werden? Wer traut sich zu, nicht nur eine autonome Digitaltruppe zu haben, die er als Minister*in voll unterstützt. Sondern auch Schritt 1: genau so wie Robert Habeck als Klimaminister immer wieder in Dialog tritt mit den zuständigen Ministern der Bundesländer, um Windkraft, PV, Fernwärme usw. abzustimmen und zu beschleunigen, muss auch unser*e potentielle Digitalisierungsminister*in immer wieder den Rahmen geben, um gleich für ganz Deutschland einen gemeinsamen Prozess abzustimmen, zu vereinfachen und zur Digitalisierung vorzubereiten. Ob dazu Volker Wissing oder Nancy Faeser fähig und bereit sind, muss sich zeigen.

Ohne diese Voraussetzung wäre selbst mit den besten Spezialist*innen ein deutscher GDS nur ein klein-kleckersdorfer GDS, der wieder 16 föderale oder auch Tausende kommunale Varianten eines Prozesses implementieren müsste. Dann hätten wir nicht, wie die Briten, nach 4 Jahren 800 Services online, sondern vielleicht 16 Varianten von Ausweis-Beantragen und Auto-Ummeldung.

Quellen:

Lean Enterprise Buch, Jez Humble, Joanne Molesky, Barry O’Reilly, Dec 2014

https://www.gov.uk/

https://www.gov.uk/government/organisations/government-digital-service

https://www.gov.uk/service-manual/measuring-success/how-to-set-performance-metrics-for-your-service

https://www.data.gov.uk/search?filters%5Btopic%5D=Digital+service+performance

https://www.independent.co.uk/life-style/health-and-families/health-news/nhs-pulls-the-plug-on-its-ps11bn-it-system-2330906.html

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