Warum wir sofort aufhören sollten, für die drei Prozent zu managen 

Ein Freund arbeitet im Einkauf für eine Firma, die Designobjekte entwirft, in verschiedensten Ländern herstellen lässt und in eigenen Läden verkauft. Die Firma ist schnell gewachsen auf mehrere Hundert Mitarbeiter. Er begann seinen Job nach seinem Wirtschaftsstudium dort enthusiastisch, doch nach kurzer Zeit war er desillusioniert. Was ist passiert?

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Na ja, er und seine Kollegen haben Zugang zu allen Zahlen, machen sorgfältige Berechnungen, diskutieren ihre Hypothesen über die Verkäufe der nächsten paar Monate, und stellen danach ihre Bestellungen zusammen. Was dann passiert, ist, dass der oberste Chef die Bestellungen anschaut, und ohne Rücksprache mit den Zuständigen die Mengen nach seinem Gusto ändert. Weder fragt er sie nach Begründung ihrer Entscheidungen, noch gibt er eine für seine – er macht einfach den Job der anderen.

Welche Auswirkung hat wohl dieses Verhalten auf die Arbeitmoral der Mitarbeiter?  Ja genau, eine desaströse.

Die Wirtschaftsjournalisten Brian M. Carney und Isaac Getz beschreiben in ihrem spannenden Buch „Freedom, Inc“ von 2009 den  Unterschied zwischen  „Wie“-Firmen und „Warum“-Firmen: in einer „Wie“-Firma herrscht eine Top-Down Hierarchie, die alles entscheidet, oft auch nicht entscheidet, und so die Kreativität ihrer Mitarbeiter und deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, im Keim erstickt. Das ist das arbeitsteilige Modell, das wir auch unter „Taylorismus“ kennen, entstanden in der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts in Mittelengland, damals ökonomisch sinnvoll, um mit unausgebildeten Arbeitern die Massenproduktion zu beginnen. Die Auswirkung auf die Mitarbeiter war allerdings damals schon desaströs – das Gefühl, keine Kontrolle über die eigene Arbeit zu haben, ist ein großer Stressfaktor.

41brdhmhunl-_sx349_bo1204203200_Eine „Warum“-Firma ist dagegen darauf aus, ihren Mitarbeitern die größtmögliche Freiheit zu geben, ihr Potential auszuschöpfen und den bestmöglichen Job zu machen. Damit aus Freiheit keine Anarchie wird sondern eine koordinierte Anstrengung in eine gemeinsame Richtung,  braucht es eine starke gemeinsame Vision, gemeinsame Werte, und eine gute Strategie, die von der Unternehmensleitung ständig kommuniziert und auch immer wieder an neue Gegebenheiten angepasst wird. Eine notwendige Bedingung ist auch, dass alle auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, und die Manager ihren Mitarbeitern Hindernisse aus dem Weg räumen.

In dem Buch schildern sie viele Beispiele,  wie Visionäre Unternehmer oder Manager eine Firma von „Wie“ zu „warum“ umgewandelt haben. Wichtig ist die Abschaffung der unzähligen Vorschriften, Anträge und Formulare, die in „Wie“-Firmen dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter ständig beschäftigt sind – nur eben nicht hauptsächlich damit, Wert für die Kunden zu schaffen, sondern damit, Prozesse und Stabsstellen zufrieden zu stellen, die zu ihrer Kontrolle eingeführt wurden, weil die Firma ihren Mitarbeitern nicht vertraut. Dies ist nämlich das „Managment für die 3 Prozent“, wie es Gordon Forward genannt hatte: aufgrund der Möglichkeit, dass einzelne Mitarbeiter etwas falsch machen oder einen Vorteil für sich gewinnen könnten, erfinden die Fimen Unmengen von Vorschriften, die alle Mitarbeiter ständig Zeit und Motivation kosten.

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Die in dem Buch geschilderten Beispiele überschneiden sich mit denen aus Frederic Laloux‘ Buch „Reinventing Orgaizations“. Was an „Freedom, Inc.“ besonders spannend ist, ist die Konzentration auf die Rolle und Tätigkeit des CEOs, den Veränderungsprozess an sich und die Aufnahme auch von gescheiterten Versuchen, aus denen man oft noch mehr lernen kann. Wie das mittlere Management zurückschlägt in der dänischen Hörgeräte-Firma Oticon, nachdem der neue CEO praktisch eine Revolution gegen die gesättigte, behäbige Hierarchie angezettelt hatte, die der Meinung war, sie lieferten absolute Premium-Produkte, während sie gerade dabei waren, dem Umschwung von analoger zu digitaler Technologie auf ihrem Markt zu verschlafen und schon beinahe abgehängt waren. Kurzfristig hatte er wohl durchschlagenden Erfolg, da die Mitarbeiter den Umgang auf Augenhöhe schätzten und ungeahntes Potential freisetzten. Mittelfristig versäumte er jedoch, seine Vision zu erneuern, laufend mit den Mitarbeitern und Führungskräften darüber zu diskutieren und so die veränderte Kultur zu erhalten. So konnte das alte Immunsystem der Bürokratie alte Machtverhältnisse über neue Gremien wieder etablieren. – Sehr interessant zu lesen und sehr wichtig, wenn man einen nachhaltigen Veränderungsprozess in einer gewachsenen Organisation erreichen will.

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