Eine gute Frage: Woher kommt das positive Menschenbild in der Wirtschaft?

Vor einigen Tagen habe ich einen Workshop für systemische Coaches und Berater gehalten, die von mir wissen wollten, wie das Thema „Agilität“ so breit Einzug gehalten hat in alle möglichen Firmen und Institutionen, die in vielen Fällen gar nichts mit Softwareentwicklung zu tun haben.

Wir kamen in einen spannenden Dialog über die Grundlagen und Prinzipien der Agilität, ihre Elemente, ihre Wirkungsweise, und schließlich ihre Voraussetzungen in der Organisation, in der sie eingeführt wird. Nahezu alle Management-Annahmen und -Praktiken scheinen nicht mehr zu passen, wenn eine Organisation aus selbstorganisierenden interdisziplinären Teams besteht.

Was tun mit der Pyramide der Hierarchie? Umdrehen?

Wenn der bisherige Top-Down-Manager zum Unterstützer seiner Mitarbeiter wird, zum Menschen- und Team-Entwickler, was passiert dann mit denen, die bisher ihren Selbstwert aus ihrer Position in der Pyramide gezogen haben? Wie können die sich verändern? Was motiviert sie vielleicht?

Eine spannende Frage stellte dann ein sehr erfahrener Coach und Berater: „Wie kommt es denn, dass ausgerechnet die gewinnorientierte Wirtschaft heute ein so positives Menschenbild gewonnen hat?“

Klar, ausgerechnet in vielen Technologiekonzernen wird heute selbstverständlich agil gearbeitet. Bedeutet dies, dass sie ihren Mitarbeitern zutrauen, intrinsisch motiviert zu sein und ihre beste Leistungen für das Unternehmen zu erbringen, wenn sich im Team selbst organisieren?
Die Frage nach der Motivation ist einfach zu beantworten: Hierarchie kann mit Komplexität nicht umgehen.

(Aus dem u.g. Buch von Frederic Laloux)

Die Welt ändert sich schneller als jemals zuvor. Neue Akteure treten in Erscheinung, die die Erwartungen, welche wir an Firmen und Institutionen haben, radikal verändern. Keine der bisher üblichen Organisationsformen kann damit umgehen. Ganze Industrien und Dienstleistungsbranchen werden im Handumdrehen Opfer disruptiver Konkurrenz.

Natürlich versuchen viele erst, die Veränderungen in der Produktentwicklung dort zu kapseln und den Rest der Organisation beizubehalten. Dann erleben sie, dass es nicht funktioniert. Die Teams werden vielleicht erst mal schneller im Entwickeln und Liefern. Dabei stoßen sie aber immer häufiger auf die Grenzen, ja Mauern des alten Systems und seiner bürokratischen Prozesse und seiner hierarchischen Entscheidungsstrukturen und werden unzufrieden, fordern mehr Freiheit oder gehen.

Normalerweise will das Top-Management die Veränderungen, weil es sie rational versteht und damit die Herausforderungen der VUCA-Welt meistern will. Die Teams auf der Arbeitsebene wollen sie auch, weil sie sie als Befreiung erleben, als echte Form der Arbeit direkt mit und für die Kunden.
Dazwischen befinden sich diese Schichten von Hierarchie, die sich immer wieder Pfründe, Macht, Einfluss, Kontrolle sichern wollen, und von denen nur ein kleiner Teil die Veränderungen unterstützt. Offiziell unterstützen sie es natürlich alle!

Einige reproduzieren ihr altes System mit ein paar Schleifchen dran, streichen es grün an und kleben ein paar moderne Namen an die alten Entscheidungsstrukturen. Es kommen noch ein paar Zentralabteilungen für Governance und Risikomanagement dazu, die immer noch danach incentiviert werden, Audits zu bestehen, statt danach, wie schnell die Teams hervorragende und sichere Produkte entwickeln können. – Und schon werden wieder alle ausgebremst.

In der Situation werden dann sowohl von unten als auch vom Top-Management Stimmen lauter, die eine ganz andere Institution fordern. Andere Werte und Prinzipien,die auch wirklich gelten. Vertrauen statt Bürokratie. Die Mitarbeiter als Erwachsene ansehen. Netzwerk statt Pyramide.

Das, was in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts noch eine Utopie war, ist heute ganz einfach das, was funktioniert, und wovon es immer mehr Beispiele gibt. Auch solche mit mehreren Tausend Mitarbeitern.

Frederic Laloux ist einer der Menschen, die am meisten solcher Unternehmen und Institutionen untersucht haben. Sein Buch„Reinventing Organizations“ hatte ich schon 2014 hier vorgestellt. Inzwischen hat er eine „visuelle“ Ausgabe davon herausgebracht, womit auch ein völlig ausgebuchter CEO noch eine Idee bekommen sollte, was er am besten gleich anfängt.

Ein ständig wachsendes Wiki www.ReinventingOrganizationsWiki.com versammelt alle Beispiele mit allen Prinzipien und Praktiken.

Auch er sagt, dass es keine Blaupausen und Checklisten für die Transformation in eine lebendige, organische Institution gibt. Man kann noch so viele Praktiken der Vorreiter kopieren. Ohne eigenen Sinn, echte gelebte Werte, wird man nicht dorthin kommen. Es lohnt sich, es zu versuchen, beharrlich dabei zu bleiben, und nicht aufzugeben. Das positive Menschenbild gehört in jedem Fall dazu.

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