Häppchen aus der neuen Arbeitswelt 4.0. – das „New Work Quartett“ von @QundG angewendet auf die @Datev

Die Kollegen in der Datev entdecken immer mal wieder was spannendes. Ein Scrum Master hat Leute von „Quäntchen und Glück“ auf irgendeiner Konferenz getroffen und hat ein „New Work Quartett“ bekommen. Klingt spannend, zumal das Thema mich hier schon seit Jahren beschäftigt: SEMCO als Vorreiter aus den 1980er Jahren, unsere selbstorganisierte Software-Firma aus den 1990ern, alles was mit Agilität zusammenhängt, die „Augenhöhe“-Bewegung in der deutschen Arbeitswelt, Frederic Laloux‘ „Reinventing Organizations“, und schließlich meine Arbeit der letzten Jahre mit den Führungskräften der Datev.

Puh! Ganz schön spannend. Also schreibe ich an jacob.chromy@qundg.de und bekomme netterweise auch so ein Quartett zugeschickt. Wenn ich beim Durchblättern Informationen brauche, kann ich auf der Website von QundG zu den einzelnen Themen mehr lesen.

Schließlich wähle ich mir 3 Quartette, die ich hier mal schnell Revue passieren lasse:

1. Die Dinge, die es in der Datev schon „immer“ gibt. – Dazu muss man wissen: Datev war ein Startup der 1960er Jahre, ist als Genossenschaft von Steuerberatern gegründet worden und war seitdem ein stetig wachsendes IT-Unternehmen. In Laloux‘ Farbensprache würde ich es als gelb-grün bezeichnen – eine mitarbeiterorientierte Hierarchie. Dazu passt mein erstes Quartett:

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Als ich vor 4 Jahren zu Datev kam, waren die Arbeitszeiten bereits flexibel. Es gab schon Leute, die von Zeit zu Zeit im Homeoffice arbeiten konnten, und Überstunden werden generell abgefeiert. Daneben gibt es eine ganze Menge soziale Wohltaten für die Mitarbeiter. Getränke sind nicht ganz for free, aber in enger Näherung. Im Sommerhalbjahr kostet eine Flasche 0,75 Mineralwasser 12 Ct. Der Latte Macchiato wird das ganze Jahr über für 57 ct von einem hyperintelligenten Automaten hergestellt. – Günstiges Mittagessen, dazu den Zwischenverkauf, Automaten, Sofaecken, Massagesessel… Ok, lassen wir das.

2. Interessante Neuerungen der letzten 5 Jahre:

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Arbeitsgruppen gibt es viele: „Communities of Practice“ wurden in den letzten 5 Jahren für alle möglichen Rollen und Themen gegründet, von der sehr aktiven Software Craftmanship Community bis zum Austausch für agile Führungskräfte. Aber auch für Veränderungsthemen haben wir solche gegründet, fast immer hierarchie- und rollenübergreifend.

„Usability Testessen“ mit echten Endkunden gibt es bei den neueren webbasieren Produkten.

Digitale Weiterbildung: Unsere Weiterbildungsabteilung setzt nicht mehr nur auf Präsenzkurse, sondern hat längst virtuelle Sites wie „Lynda“ für uns eingekauft.

Bewerber: Kollegen, die sich beispielsweise dafür interessieren, sich auf eine der Stellen bei uns in der Entwicklung zu bewerben, werden regelmäßig mit Bewerber-Lounges mit Häppchen und im letzten Jahr auch schon einmal mit gemeinsamem Grillen beglückt. Dort können sie dann eine ganze Reihe Leute aus der Entwicklung kennen lernen, mit denen sie über unterschiedliche Stellen, aber auch über agile Methoden und Communities sprechen können.

3. Nicht exakt gleiche, aber ähnliche Innovationen wie diese von QundG können wir auch schon anbieten:

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Aus Hackathon und Quarantäne wird unsere „Schatzsucherwoche“: ein cross-funktionales Team aus Mitarbeitern und Kunden zieht sich für eine Woche irgendwohin zurück – ohne Mail, ohne Telefon – und entwickelt aus ein paar Ideen eine User Journey und setzt diese prototypisch um – ähnlich wie im „Sprint“ bei Google.

Eine „Quäntrale“ haben wir auch: Unser IT-Campus ist schon seit dem Erstbezug in 2015 ziemlich cool eingerichtet, mit vielfältigen Rückzugsräumen und roten Sofas. Seit 2018 ist das obere Stockwerk für Activity Based Working noch vielfältiger neu hergerichtet, für zwei große Produktteams nach ihren jeweiligen Wünschen und Bedürfnissen. Terasse und vier sonnige Innenhöfe locken uns, und der Park mit Rosengarten auch die gesamte Nachbarschaft an die Sonne.

Offsites haben wir auch für alle möglichen Gruppen, und es geht hier ebenso um das bessere Kennenlernen und um eine gemeinsame Sicht der Dinge zu bekommen – vom Agilen Transitionsteam mit 5 Leuten über den Scrum Master Tag mit 70 Leuten bis hin zum Learnathon für alle Führungsrollen mit mehreren Hundert Leuten im VIP-Bereich des Stadions.

So, das war der Quartett-gestützte Einblick in die Arbeitswelt 4.0. bei der Datev. Natürlich hat „Quäntchen und Glück“ noch ein paar andere Themen zu bieten. Nicht ohne Grund haben sie ja 32 Karten herausgegeben. Wer die anderen kennenlernen will: siehe oben.

 Warum wir sofort aufhören sollten, für die drei Prozent zu managen 

Ein Freund arbeitet im Einkauf für eine Firma, die Designobjekte entwirft, in verschiedensten Ländern herstellen lässt und in eigenen Läden verkauft. Die Firma ist schnell gewachsen auf mehrere Hundert Mitarbeiter. Er begann seinen Job nach seinem Wirtschaftsstudium dort enthusiastisch, doch nach kurzer Zeit war er desillusioniert. Was ist passiert?

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Na ja, er und seine Kollegen haben Zugang zu allen Zahlen, machen sorgfältige Berechnungen, diskutieren ihre Hypothesen über die Verkäufe der nächsten paar Monate, und stellen danach ihre Bestellungen zusammen. Was dann passiert, ist, dass der oberste Chef die Bestellungen anschaut, und ohne Rücksprache mit den Zuständigen die Mengen nach seinem Gusto ändert. Weder fragt er sie nach Begründung ihrer Entscheidungen, noch gibt er eine für seine – er macht einfach den Job der anderen.

Welche Auswirkung hat wohl dieses Verhalten auf die Arbeitmoral der Mitarbeiter?  Ja genau, eine desaströse.

Die Wirtschaftsjournalisten Brian M. Carney und Isaac Getz beschreiben in ihrem spannenden Buch „Freedom, Inc“ von 2009 den  Unterschied zwischen  „Wie“-Firmen und „Warum“-Firmen: in einer „Wie“-Firma herrscht eine Top-Down Hierarchie, die alles entscheidet, oft auch nicht entscheidet, und so die Kreativität ihrer Mitarbeiter und deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, im Keim erstickt. Das ist das arbeitsteilige Modell, das wir auch unter „Taylorismus“ kennen, entstanden in der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts in Mittelengland, damals ökonomisch sinnvoll, um mit unausgebildeten Arbeitern die Massenproduktion zu beginnen. Die Auswirkung auf die Mitarbeiter war allerdings damals schon desaströs – das Gefühl, keine Kontrolle über die eigene Arbeit zu haben, ist ein großer Stressfaktor.

41brdhmhunl-_sx349_bo1204203200_Eine „Warum“-Firma ist dagegen darauf aus, ihren Mitarbeitern die größtmögliche Freiheit zu geben, ihr Potential auszuschöpfen und den bestmöglichen Job zu machen. Damit aus Freiheit keine Anarchie wird sondern eine koordinierte Anstrengung in eine gemeinsame Richtung,  braucht es eine starke gemeinsame Vision, gemeinsame Werte, und eine gute Strategie, die von der Unternehmensleitung ständig kommuniziert und auch immer wieder an neue Gegebenheiten angepasst wird. Eine notwendige Bedingung ist auch, dass alle auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, und die Manager ihren Mitarbeitern Hindernisse aus dem Weg räumen.

In dem Buch schildern sie viele Beispiele,  wie Visionäre Unternehmer oder Manager eine Firma von „Wie“ zu „warum“ umgewandelt haben. Wichtig ist die Abschaffung der unzähligen Vorschriften, Anträge und Formulare, die in „Wie“-Firmen dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter ständig beschäftigt sind – nur eben nicht hauptsächlich damit, Wert für die Kunden zu schaffen, sondern damit, Prozesse und Stabsstellen zufrieden zu stellen, die zu ihrer Kontrolle eingeführt wurden, weil die Firma ihren Mitarbeitern nicht vertraut. Dies ist nämlich das „Managment für die 3 Prozent“, wie es Gordon Forward genannt hatte: aufgrund der Möglichkeit, dass einzelne Mitarbeiter etwas falsch machen oder einen Vorteil für sich gewinnen könnten, erfinden die Fimen Unmengen von Vorschriften, die alle Mitarbeiter ständig Zeit und Motivation kosten.

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Die in dem Buch geschilderten Beispiele überschneiden sich mit denen aus Frederic Laloux‘ Buch „Reinventing Orgaizations“. Was an „Freedom, Inc.“ besonders spannend ist, ist die Konzentration auf die Rolle und Tätigkeit des CEOs, den Veränderungsprozess an sich und die Aufnahme auch von gescheiterten Versuchen, aus denen man oft noch mehr lernen kann. Wie das mittlere Management zurückschlägt in der dänischen Hörgeräte-Firma Oticon, nachdem der neue CEO praktisch eine Revolution gegen die gesättigte, behäbige Hierarchie angezettelt hatte, die der Meinung war, sie lieferten absolute Premium-Produkte, während sie gerade dabei waren, dem Umschwung von analoger zu digitaler Technologie auf ihrem Markt zu verschlafen und schon beinahe abgehängt waren. Kurzfristig hatte er wohl durchschlagenden Erfolg, da die Mitarbeiter den Umgang auf Augenhöhe schätzten und ungeahntes Potential freisetzten. Mittelfristig versäumte er jedoch, seine Vision zu erneuern, laufend mit den Mitarbeitern und Führungskräften darüber zu diskutieren und so die veränderte Kultur zu erhalten. So konnte das alte Immunsystem der Bürokratie alte Machtverhältnisse über neue Gremien wieder etablieren. – Sehr interessant zu lesen und sehr wichtig, wenn man einen nachhaltigen Veränderungsprozess in einer gewachsenen Organisation erreichen will.

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